„Fehlerkultur“: Vom Unterschied zwischen Failing und Mistake

Beabsichtigter Fehlschlag oder unerwünschter Fehler?

Fuckup-Night bei den Service Design Drinks Nürnberg #16. Das Scheitern im Kleinen und im Großen. Schließlich ist „Fail fast, fail often!“ eines der Design-Thinking-Prinzipien. Das große Problem dabei ist, dass wir „fail“ konsequent falsch übersetzen! Und damit beginnt das fatale Missverständnis rund um agiles Arbeiten. Wir reden nämlich über Fehler und über eine sogenannte Fehlerkultur. Fehler sind im Englischen aber „mistakes“ und genau um die geht es eben nicht!

Fehler gilt es zu vermeiden – heute genauso wie früher

Gerade in Zeiten, in denen die Kundenmacht so groß ist wie noch nie, in denen die (potenziellen) Kunden sich austauschen, ihre Erfahrungen verbreiten und im Grunde alle Branche miteinander vergleichen können, geht es um Exzellenz – um Service Excellence und um Operational Excellence.  Beide hängen voneinander ab, denn „Was innen nicht glänzt, kann außen nicht funkeln!“. Beim Service Design werden beide immer zusammen gedacht und konzipiert. Der Service Design Blueprint führt als Methode die beiden Dimensionen zusammen und hilft immer dann bei Diskussionen mit Kunden, wenn gerade mal wieder der scheinbare Widerspruch von Kundenorientierung und Prozessoptimierung diskutiert wird.

Sehr interessant ist, dass die beiden letzten Shareholder Letter von Jeff Bezos an die Amazon-Aktionäre genau diese beiden Aspekte behandeln: in 2017 war der Titel „Build high standards into company culture” und in 2018 dann „Wandering is an essential counterbalance to efficiency”.  Die Reihenfolge ist dabei sicher bewusst gewählt. High Standards kommen zuerst. Mit dem Fokus auf Exzellenz und Fehlervermeidung. Falls dann doch Fehler passieren, was unvermeidlich ist, geht es um das konsequente und kontinuierliche Verbessern der Prozesse, der Teams, der Kultur, um diese Fehler künftig auszuschließen. Hier reden wir aber nicht von „Failure“ und auch nicht von Design Thinking oder Service Design, sondern bewegen uns in den Bereichen von Lean Management, Six Sigma und Kanban. Sehr anschaulich verdeutlicht in folgender Illustration:

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Demingkreis
Auch dabei ist das Vorgehen durch Iterationen geprägt – hier allerdings Iterationen mit dem Ziel, den Standard kontinuierlich zu steigern und damit die Prozessqualität abzusichern. Anders als die Iterationen, mit denen wir uns schrittweise einer Innovation für ein Kundenbedürfnis annähern.

„It took years of wandering“

„It took years of wandering.“ So beschreibt Jeff Bezos die Entwicklung der Amazon Web Services (AWS) hin zum heutigen Erfolg. Wandering heißt für ihn „experimentation, iteration, and refinement, as well as valuable insights from our customers” – und darin stecken schon alle wesentlichen Prinzipien des Service Designs. Beim Experimentieren und ständigen Verbessern kommt es immer wieder zum unausweichlichen „fail“. Die passenden Übersetzungen sind dann aber „fehlschlagen“, „misslingen“, „danebengehen“.

Die große Herausforderung steckt nun in dem, was Jeff Bezos „essential counterbalance to efficiency“ nennt. Die beiden Pole zusammenzubringen: die Effizienz, Prozessverbesserung und das Erreichen von hohen Qualitätsstandards auf der einen Seite und das Herumwandern, Ausprobieren, Scheitern auf der anderen Seite. Dazu gibt es viele Ansätze, wie z. B. Exploration & Exploitation oder die zwei Betriebssysteme von John Kotter. Das Wichtigste ist dabei, dass wir begrifflich klar sind. Und die Verwendung von „Fehler“ und „Fehlerkultur“ für zwei völlig unterschiedliche Ereignisse tut uns hier natürlich überhaupt keinen Gefallen  – einmal sind „Fehler“ absolut unerwünscht und zu vermeiden und das andere Mal sind andere „Fehler“ gezielt und bewusst herbeigeführt.

Je größer das Unternehmen, desto größer das mögliche „Failing“ – aber bitte nicht die Fehler!

Damit wird auch klar, warum die Innovationskraft von großen Unternehmen so häufig nachlässt. Bei Start-ups stellt fast jedes Vorgehen ein Experiment dar und führt immer wieder auch zu einem Misslingen und in der logischen Folge zu einem neuen Ansatz. Je größer jedoch das Unternehmen, desto größer müssen auch die Risiken sein, die mit einem Experiment eingegangen werden. Denn jedes Experiment stellt im Grunde eine Wette dar, eine Wette auf ein neues Produkt, ein neues Angebot für den Kunden. Eine solche Wette hat jedoch nur dann Relevanz, wenn sie im Erfolgsfall als Innovation im Unternehmen auch einen Stellenwert bekommt – direkt abhängig von der Größe des Unternehmens. Das Dilemma ist also, dass die Risiken umso größer sein müssen, je größer das Unternehmen ist. Doch genau dann werden Unternehmen reglementierter und damit immer risikoaverser.

Wenn wir mit Service Design in Unternehmen antreten, gilt es deshalb von Beginn an, die Erwartungen richtig zu managen. Mit Service Design werden wir nicht die großen Innovationen anstoßen, wenn nicht die Bereitschaft zum großen Experiment da ist. Doch zum Glück gibt es unzählige kleine Basics, die erst in Ordnung gebracht werden müssen und an denen wir schon einmal üben können. Und die trotzdem signifikante Wirkung auf die Kundenerlebnisse haben.