Service Design und Plattformen – was ist die Henne, was das Ei?

Service Design und Platform Design: wer folgt wem?

Auch 2018 werden uns wieder neue Methoden und Ansätze – oder auch nur neue Begriffe für Altbekanntes – präsentiert werden: als plakative Lösung für die drängenden Herausforderungen der Digitalisierung und der neuen Arbeitswelt.

Doch statt dogmatisch jedes Vorgehen für sich alleine zu betrachten, sollten wir die Verbindungen herstellen, die es uns ermöglichen, für jede Aufgabenstellung und für jedes Unternehmen die passende Kombination zu erkennen. Und zu nutzen.

Bei Service Design und Plattform-Ökonomie, zwei der großen „Trends“ des letzten Jahres, ist das einfach: Denn sie ergänzen sich hervorragend.

Service-dominierte Geschäftsmodelle

Der sich aktuell vollziehende Übergang von produkt- zu service-dominierten Geschäftsmodellen ist gerade großes Thema, wenn es um Service Design geht. Immer wieder gern zitiertes Beispiel ist die Musikindustrie mit ihrem Wandel von Schallplatte zu Kassette und CD (alles noch Produkte) und dann dem Sprung zu Streamingdiensten wie Spotify, die Musik „nur noch“ als einen Service anbieten. Und es gibt zahlreiche weitere prominente Beispiele: das Hotel ohne eigene Betten (Airbnb), das Taxiunternehmen ohne eigene Fahrzeuge (Uber) oder das Medienunternehmen ohne eigene Inhalte (facebook).

Doch auch klassische Unternehmen wie Otto oder MediaMarkt bieten inzwischen nicht mehr nur den Kauf von Produkten an, sondern setzen verstärkt auf deren Nutzung als Service. Was ganz nebenbei gesagt für die Finanzbranche bedeutet, dass ihr Produkt  „Ratenkredit“ reichlich gefährdet ist.

Sehen wir uns all diese Geschäftsmodelle mal genauer an, dann stellen wir fest, dass es bei service-dominierten Modellen fast immer um Plattformen geht. Also um Geschäftsmodelle, die in dieser Form erst durch die Digitalisierung möglich geworden sind.

Geschäftsmodell „Plattform“: Umdenken ist angesagt

Das bilaterale Verhältnis von Produzent und Kunde löst sich auf. Der Wert der Plattform entsteht nicht durch den Austausch von Waren, sondern durch den Austausch von Daten, Informationen oder Werten. Ermöglicht wird dies dadurch, dass Daten in größter Detaillierung und vor allem überall verfügbar sind. Weil sie digital sind. Die Plattform ist quasi die Digitalisierung des Marktplatzes oder der Tauschbörse mit dem Nebeneffekt, dass räumliche und zeitliche Grenzen aufgehoben sind und sich im Extremfall die gesamte Welt miteinander vernetzen könnte.

Auch die Erlösströme sind andere. Die Plattform profitiert vom Zusammenbringen, dem „Match“ von Produzenten und Konsumenten. Waren die Plattformbetreiber zu Beginn selbst noch Produzenten, so ziehen sie sich aus dieser Rolle nach und nach vollständig zurück.

Was macht den Erfolg einer Plattform aus?

Der Austausch von Daten, Informationen oder Werten bedeutet nichts anderes als Interaktionen zwischen den Teilnehmern der Plattform. Und diese Interaktionen sind erfolgsentscheidend – sie sind der Kern der Plattform und demzufolge der kritische Erfolgsfaktor.

Sangeet Paul Choudary, einer der bekanntesten Vordenker zu diesem Thema, bildet eine Plattform schematisch in drei „Stacks“, also drei Schichten ab: „Network-Marketplace-Community“, „Infrastructure“ und „Data“ (in: „Platform Scale“).

Platform Stack nach Sangeet Paul Choudary

Je nach Plattform-Typ sind diese drei Schichten unterschiedlich stark ausgeprägt und bedeutsam. Die oben genannten wie Facebook, Airbnb und Uber leben vor allem von der „Network-Marketplace-Community“-Schicht, Entwicklungsplattformen wie WordPress u.a. von der „Infrastructure“-Schicht und all das, was wir unter Internet-of-Things kennen, basiert insbesondere auf der „Data“-Schicht. Doch allen ist eines gemeinsam: die Interaktionen in der Schicht „Network-Marketplace-Community“ entscheiden über den Erfolg.

Das Design von Plattform-Geschäftsmodellen muss also immer bei einer „Core Interaction“ beginnen, um die herum sich dann Schritt für Schritt weitere Interaktionen ansiedeln. Wenn wir eine Plattform designen wollen, werden wir also statt eines MVP (Minimum Viable Products) eine MVI (Minimum Viable Interaction) entwerfen. Diese minimale Interaktion muss für Produzenten und Konsumenten gleichermaßen attraktiv sein, damit die Plattform genutzt wird.

Auch Interaktionen lassen sich erfolgreich „designen“

Was muss erfüllt sein, damit eine MVI tatsächlich Teilnehmer auf die Plattform zieht? Ganz klar, sie muss relevant und wertstiftend sein. Dazu möglichst unkompliziert und einfach zu bedienen. Das sind genau die Erfolgsfaktoren, an denen wir mithilfe von Service Design arbeiten und die wir insbesondere durch Research und Prototyping erreichen wollen: Trifft das Angebot die Bedürfnisse des Kunden oder Nutzers? Kann der Nutzer auf sehr einfache, wenn möglich sogar begeisternde Weise dieses Angebot wahrnehmen oder zum Angebot gelangen?

Offensichtlich ist Service Design ein genau passender Ansatz, um die „Core Interaction“ einer Plattform zu entwickeln und sie vor allem dann auch so auszugestalten, dass die Customer Experience überzeugt.

Service Design nutzen

Die Methoden und das Vorgehen des Service Designs lassen sich direkt anpassen und anwenden. Statt der Customer Journey kümmern wir uns um die Consumer Journey und die Producer Journey. Denn das sind die entscheidenden Sales Funnel einer Plattform. Personas beschreiben unsere Consumer und Producer, evtl. auch unsere Prosumer in ihren unterschiedlichen Rollen und mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen. Die Stakeholder Map spannt das gesamte Ökosystem der Plattform auf, wohingegen sich ein Service Blueprint für die Modellierung der Plattform über alle Stacks hinweg eignet.

Dasselbe gilt für das Prototyping. Es hilft uns beim schnellen Erproben der „Core Interaction“ mit all ihren Facetten: Welchen Wert bietet die Interaktion? Wie sieht es mit der Machbarkeit aus und wie mit Look & Feel?

Das einzige, das auf den ersten Blick nicht mehr passt, ist die Osterwaldsche „Business Model Canvas“.
Denn die bilaterale Beziehung – links Erzeugung des Wertangebots und rechts dessen Vermarktung und Vertrieb – ist kein passendes Modell mehr für eine Plattform.

Doch auch in einer „Platform Canvas“, wie sie Sangeet Paul Choudary vorschlägt, lassen sich die Service Design-Artefakte zuordnen, wie die folgende Adaption zeigt.

Platform Canvas mit Service Design Artefakten, Adaption von Stefan Wacker

 

Das Ganze funktioniert auch umgekehrt

Wenn sich Service Design also gut für die Ausgestaltung einer Plattform eignet, dann heißt das umgekehrt auch, dass wir bei der Ideenentwicklung im Service Design den Plattform-Ansatz mitdenken sollten – zumindest wenn wir Fragestellungen und Rahmenbedingungen haben, die eine Änderung oder Neu-Entwicklung von Geschäftsmodellen zulassen. Was sich durch entsprechende Methoden in der Phase der Ideation und des Prototypings auch gezielt anstoßen lässt.

Die Stakeholder Map bietet uns mögliche Ansatzpunkte für Kooperationen und lässt sich zu einer Ecoystem Map einer Plattform erweitern. Die Beziehungen untereinander und die unterschiedlichen Journey Maps weisen uns auf Kandidaten für eine „Core Interaction“ hin. Und den Customer können wir über die verschiedenen Personas zu Teilnehmern der Plattform werden lassen.

Letztendlich also egal, ob wir von der Henne zum Ei oder vom Ei zur Henne kommen: Kombinieren wir einfach diese (und auch andere) Ansätze, um den entscheidenden Mehrwert für unsere Kunden und unsere Unternehmen zu generieren … solange die Plattform keine service-optimierte Legebatterie wird.