Erstaunlich, wie fest sich der Begriff der „Customer Journey“ inzwischen etabliert hat und wie viele Workshops und Projektschritte sich ganz selbstverständlich mit einer „Customer Journey“ auseinandersetzen oder zumindest ein bestimmtes Vorgehen dann „Customer Journey“ nennen.
Die Reise ohne den Kunden
Denn überraschenderweise gibt es viele Journeys, die ganz ohne einen realen Kunden stattfinden. Es sind bloße Annahmen. Wir vermuten, wie sich unser Kunde zurzeit verhält. Oder es sind Wünsche, wie er sich künftig verhalten sollte, wenn wir ihm einen Prozess vorsetzen werden, den wir „Customer Journey“ genannt haben. Immerhin reden wir dann schon über den Kunden, aber noch lange nicht mit ihm.
Häufig sind diese Annahmen ausschließlich geprägt durch diejenigen, die die Annahmen und Wünsche formuliert haben. Und so hat sich der Kunde eben nach den Gegebenheiten des Unternehmens zu richten. Er hat seine Reise in der von uns gewünschten Reihenfolge zu absolvieren, muss die für uns passenden Angebote annehmen, muss mit unseren Silo-Grenzen kämpfen und kann nicht erwarten, dass ihn die Informationen über ihn und sein Anliegen seine ganze Reise hindurch begleiten.
Ehrlicher wäre also, wir würden hier nicht von der „Customer Journey“, sondern von unseren „Journey Instructions for Customers“ sprechen.
Existiert nur das, was wir sehen?
Das zweite Missverständnis liegt darin, dass sich unser Kunde nur an den Stellen bewegen würde, die wir ihm als Unternehmen anbieten. Die Customer Journey wird nämlich häufig nur für die Berührungspunkte (Touchpoints) des Unternehmens selbst betrachtet. Wir schauen zwar auf den Kunden, doch nur von innen nach außen. Oder um in einem anderen Bild zu bleiben: wir schauen uns zwar die Schuhe des Kunden an, aber nur dann wenn sie vor unserer Tür stehen. Doch wenn wir mit dem Kunden tatsächlich in seinen Schuhen gehen, werden wir schnell feststellen, dass es noch viele andere Wege gibt, auf denen er sich bewegt, manchmal sogar ohne an unserer Tür vorbeizuschauen. Zum Beispiel wenn er sich im Vorfeld informiert, wenn er Dinge erlebt, die mit uns gar nichts zu tun haben, wenn er bei der Konkurrenz ist und vor allem auch dann, wenn er nach unserem Kauf oder Service seine Reise fortsetzt, mit anderen spricht usw.
Doch nur wenn wir den Kunden verstehen, woher er kommt, mit welchen bisherigen Erfahrungen und Erlebnissen, mit welchen Erwartungen, nur dann werden wir ihm eine Lösung gestalten und anbieten können, die für seine Bedürfnisse passt. Sonst sind wir nicht „customer centric“ sondern „company centric“: Dann bleibt unser Unternehmen der Mittelpunkt der Welt … und es braucht den Service Designer als neuen Galilei.
Ohne Backstage-Bereich keine Show
Und auch dann: Die „wahre“ Kundenreise ist zwar ein wesentlicher Erkenntnisgewinn, doch noch lange kein Ergebnis für ein Service Design. Oder wie es Marc Stickdorn in der „Service Design Show“ so einprägsam formuliert:
Denn zu den Kontaktpunkten, die der Kunde besucht, gehören die sichtbaren und unsichtbaren Interaktionen mit dem Kunden unabdingbar dazu. Erst sie ergeben im Ganzen den Service-Prozess.
(Quelle: http://www.slideshare.net/apolaine/blueprint-developing-a-tool-for-service-design)
Erst ein Service Blueprint macht also aus der Customer Journey einen Service Prozess und bietet eine gute Grundlage zum Einstieg ins Prototyping – die Tests und Iterationen mit den Kunden müssen dann folgen. Aber auch Prototyping findet überraschenderweise immer wieder mal ohne den Kunden statt. Doch das ist eine andere Geschichte …