Das Nachdenken darüber, wie Weiterbildung wirksam und begeisternd sein kann, führte zu einem überraschenden Schluss: die Weiterbildung per se wird es womöglich gar nicht mehr geben im Jahr 2028 – oder sogar schon früher. Unvorstellbar? Halten wir uns an das, was Graewood schon 2009 pointiert formulierte: „Change has never happened this fast before, and it will never be this slow again.” Doch wo stehen wir heute?
Agilität ist in der Weiterbildung noch nicht angekommen
Überraschenderweise ist das, was in Unternehmen vom Fachexperten bis zur Geschäftsführung längst ausgiebig diskutiert wird, das „agile Arbeiten“, in der Weiterbildung noch nicht so recht angekommen. Damit ist nicht das Buzzword gemeint , mit dem inflationär gerade alles bezeichnet wird, was etwas unklar ist, was wir nicht sauber planen und lange durchdenken wollen, also dieses entschuldigende „Wir sind eben agil unterwegs“. Sondern es geht um den strukturierten Prozess, in dem wir nach kurzen klar definierten Sprints sowohl unsere inhaltlichen Ziele wie auch die Art unseres Arbeitens in Retrospektiven immer wieder überprüfen, aus den neu gewonnenen Erkenntnissen unsere Schlüsse ziehen und daraus unser weiteres Vorgehen ableiten.
Unterschiedliche und flexible Formate müssen die Regel werden
Weiterbildung und Lernen verschränken sich mit Anwenden und Umsetzen. Kleine Schritte also, die sich anpassen lassen auf den jeweiligen Kontext: Wie entwickeln wir den Weiterbildungsprozess im Wechselspiel zwischen Lernen der Methodik und ihrer konkreten Anwendung weiter? Welche Elemente können wir übernehmen, weil sie für Mitarbeiter und Unternehmen passen und welche adaptieren wir besser oder entwickeln sie im agilen Sinne gar ganz neu? Seminare als Standardformate gehören damit – allein schon durch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung uns bietet – zum alten Eisen. Die Zukunft besteht aus verschiedenen Weiterbildungsmodulen: von Webinaren im stillen Kämmerlein über den Wechsel von Erlernen und Anwenden bis hin zu kollaborativen Lernformaten.
Der Kollege als Coach, aber auch als Lern und Entwicklungspartner – weil wir voneinander lernen können. Weil es immer mehr auf Qualität und Schnelligkeit ankommt. Das anfangs gern belächelte Pair Programming hat es uns vorgemacht: Agile iterative Arbeitsformen sind im Kommen und lassen sich optimal auf den Weiterbildungsprozess und die entsprechenden Formate übertragen.
Schmoren im eigenen Saft?
Neu ist dieses Vorgehen eigentlich nicht. Aber es bekommt in der VUCA-Welt mit ihrer Komplexität und Volatilität eine ganz neue Bedeutung. Wir können es inzwischen gar nicht mehr alleine bewältigen, mit dieser schnellen Entwicklung Schritt zu halten. Nicht als Mitarbeiter, aber vor allem auch nicht als Unternehmen. Wenn wir nach wie vor akribisch darauf achten, dass keine Erkenntnisse und Entdeckungen das Gebäude verlassen, dann laufen wir Gefahr, ins Abseits zu geraten. „Alle unsere Patente gehören euch“, sagte Tesla-Gründer Elon Musk schon vor vier Jahren.
Und das Open Source System Linux läuft als Android heute auf über 80 Prozent aller Smartphones. Schnelligkeit schlägt das Abschotten des eigenen Wissens. Die neuen Paradigmen heißen Collaboration und Co-Creation. Das Auf-sich-selbst-Bezogene ist nicht mehr zukunftsfähig. Heute schon nicht und 2028 erst recht nicht. Wir müssen uns also öffnen, uns treffen, miteinander diskutieren, uns inspirieren lassen, aber genauso auch andere inspirieren. In offenen Formaten (wie z.B. Open Space) werden wir etwas von uns (preis-)geben müssen, um in einen echten und wertstiftenden Austausch zu gelangen.
Wo hört Airbnb als Plattform-Unternehmen auf und wo fängt die Außenwelt an? Sind nur die angestellten Mitarbeiter Teil von Airbnb oder auch die Gastgeber und die Gäste, die Fremdenführer und die Concierges? Sie gehören zum Ökosystem, das in 2028 möglicherweise eine Reihe von Unternehmen schon abgelöst haben wird. Die Weiterbildung in den eigenen Mauern wird also vielleicht schon deshalb obsolet, weil es diese Mauern gar nicht mehr gibt?
Wirksame Weiterbildung ist hybrid
Wirksame Weiterbildung ist sicher jetzt schon hybrid. Und selbst dann, wenn die Änderungen im zwischenmenschlichen Bereich, und dazu gehört auch Weiterbildung, gar nicht so groß sein werden wie im technischen – wir legen schließlich nicht Jahrtausende an Evolutionsgeschichte mal schnell in zwei Jahrzehnten Digitalisierung ab – bleibt die Hoffnung, dass die rasante Entwicklung uns die Möglichkeit gibt, das nach oben zu holen, was tief in uns schlummert und was wir mit unserer bisherigen Arbeitsweise kaum entfalten konnten: die Suche nach dem Sinn, Begeisterung für Dinge und Leidenschaft.
Wenn wir Sinn suchen und finden in unseren Aufgaben, wenn wir auf einmal wieder etwas bewegen wollen und können, im Unternehmen und mit unseren Unternehmungen, in der Gesellschaft und für die Gesellschaft, dann suchen wir uns die Orte, den Raum , die Aufgaben, die Menschen, mit und an denen wir wachsen können. Und wir werden das auswählen können, was uns in unserer Entwicklung weiterbringt – und damit auch andere. Das sind die Projekte, die Aufgaben, die Unternehmen oder die eigene Gründung, die uns interessieren. Nein, nicht interessieren – ein viel zu schwaches Wort in diesem Zusammenhang. Die uns anziehen, die uns berühren, die uns entfachen, für die wir brennen.
Am Ende hat Weiterbildung sich selbst überlebt
Weiterbildung wie wir sie heute kennen, brauchen wir dann nicht mehr. Qualifizierung, Zertifizierung, das Weiterbilden für die nächste Aufgabe werden passé sein und stattdessen geht es um die Suche nach der neuen, fordernden Aufgabe, in die wir unsere ganze Energie stecken werden.
Dann stellt sich die Frage nach Weiterbildung und wie sie begeisternd und wirksam sein kann gar nicht mehr. Begeisterung und Leidenschaft selbst bringen uns weiter. Fragt sich nur, ob diese Umkehrung nur für die Generationen Y oder Z gilt oder ob es an der Persönlichkeit liegt oder doch von Bildung, Herkunft, sozialer Zuordnung und privilegierten Arbeitsformen abhängt? Denn dann findet die Abschaffung der Weiterbildung womöglich nur in einer sehr begrenzten Blase von Menschen statt, die es sich – auf die eine oder andere Weise – leisten können.
Diese Gedanken entstanden im Workshop „Zukunft der Weiterbildung: DREAM OUT LOUD“, der von Dana Arzani am 19. November 2018 im Innovationslabor JOSEPHS veranstaltet wurde. Dabei moderierte ich als Mit-Gastgeber die Frage „Wie sieht begeisternde und wirksame Weiterbildung 2028 aus?“.
Vielen Dank für die inspirierenden Diskussionen!
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Bilder: Frau Vau Fotografie