Pippi Langstrumpf und der Double Diamond

Anspruch und Wirklichkeit. Auf den klassischen Folien sieht der „Double Diamond“ * immer so perfekt aus. Ein Idealbild zweier gleichgewichtiger Phasen, bei denen die Beschäftigung mit dem „Problemraum“ dasselbe Gewicht hat wie die mit dem „Lösungsraum“. „Doing the right thing before doing things right.” Soweit die Theorie, doch warum weicht die Praxis offenbar immer wieder so eklatant davon ab? Die Darstellung von @erickmohr, die @andybutt kürzlich auf Twitter geteilt hat, bringt nur auf den Punkt, was wir selbst immer wieder in Unternehmen erfahren:

Double Diamond

Fehlende Einsicht?

Die Erfahrung aus meinen Trainings und Projekten zeigt, dass Teams immer wieder aufs Neue beeindruckt waren von dem, was sie schon in kurzer Zeit und mit wenig Aufwand an Erkenntnissen und Überraschungen aus dem Research gewinnen konnten. Der Wert dieser Service Design Experience war immer offensichtlich und greifbar. Und die Insights, die Erkenntnisse, die daraus abgeleitet werden konnten, waren immer anders als das, was vorher an Lösungen gedacht wurde.

In der Realität ist diese erste Phase („Discover“) aber anscheinend der Schritt, in den am wenigsten investiert wird. Und dabei ist das doch genau der Schritt, der uns hilft zu verstehen, worum es eigentlich geht und wie die Welt „da draußen“ tickt, was sie braucht und was eben auch nicht. Rational und logisch ist diese Prioritätensetzung nicht zu erklären. Woran liegt es also?

Macht der Gewohnheit und Komplexitätsreduktion

Zum einen sind wir es seltsamerweise nicht gewohnt, Kunden einzubeziehen. Es war bisher nicht üblich, vielleicht auch nicht erforderlich. Wenn ich in Vorträgen oder Trainings diesen wichtigsten Teil der Methode vorstelle – eben den Kunden, seine Bedürfnisse und Herausforderungen zu verstehen – kommt mir das immer wieder sehr banal vor, wenn ich es ausspreche. Das soll nun das Mysterium von Design Thinking sein? Und irgendeiner spricht dann prompt aus, was fast alle denken: „Das ist ja jetzt nun wirklich nichts Neues.“ Doch was gar nicht banal ist: Warum passiert es dann nicht? Weil es nicht eingeübt ist? Weil es immer noch etwas Besonderes, etwas Ungewöhnliches ist? Weil wir keine Gewohnheiten daraus gemacht haben? Das hieße, wir müssten ganz klein und unspektakulär anfangen: der Kundentest nicht mehr als Highlight, sondern als Selbstverständlichkeit, nicht mehr aufgebläht durch Agenturen und aufwändige Testvorbereitung, sondern „quick and dirty“ von jedem durchführbar. Sind wir Service Design Berater und Facilitatoren dann überflüssig?

Wir scheuen den Research vor allem deswegen, weil unsere Welt dadurch scheinbar noch komplexer wird, unsere Ansichten fraglich, unsere Entscheidungen schwieriger und langwieriger. Vor allem dann, wenn die Ergebnisse aus dem Research eben nicht die Bestätigung unserer Vorstellungen sind. Was bei einem ernsthaften Betreiben des Researchs fast immer der Fall ist! Nur: Es ist nicht die Welt, die dadurch komplexer wird, sondern es ist unser Blick, der mehr von der vorhandenen Komplexität zulässt. Das muss man aushalten können. Das kostet zunächst mehr Zeit. Und es macht Entscheidungen nicht mehr schwarz-weiß. Ist dafür aber letztendlich der Realität angemessener.

Risikominimierung statt Kundenorientierung

Adam Lawrence, Markus Hormeß und Marc Stickdorn, die Coaches unserer Service Design Essentials, weisen seit einiger Zeit in ihren Vorträgen darauf hin, dass wir das Narrativ von Service Design ändern müssen. Wenn wir zu allen Gelegenheiten Fotos mit Menschen zeigen, die Post-Its kleben, dann manifestiert sich dieser Eindruck eben auch. Lass uns einen Service Design Workshop machen, um auf neue Lösungen zu kommen, heißt es dann. Passender wären Fotos von Interviews und Recherchen im Feld. Von Prototypen im Test. Und von Services im Einsatz.

Möglicherweise ist das Narrativ zu ändern auch der richtige Ansatz, um Entscheider von der Gewichtung im Double Diamond zu überzeugen. Weg von Kundenorientierung hin zu Risikominimierung. Weg vom Blindflug mit frei erdachten Business Cases hin zum Fliegen auf Sicht mit den Bedürfnissen, die im Markt sichtbar werden und die wir tatsächlich belegen können. Entscheidungen, die auf bloßen Annahmen beruhen, sind trotz Lean-Startup-Konzepten und Design Thinking immer noch gang und gäbe und am Ende doch nichts anderes als eine riesengroße, hochriskante Wette.

Wir würden also künftig bei der Vorstellung von Service Design nicht mehr vom Double Diamond erzählen und erst recht nicht mehr von Post-Its. Sondern könnten zu Beginn gleich die Frage stellen, wer weiterhin im Taka-Tuka-Land leben und mit Pippi Langstrumpf „Ich mach‘ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt“ singen möchte. Allen anderen bieten wir gezielte Research-Methoden und einen strukturierten Design-Prozess.

 

* Der Double Diamond ist eine sehr weit verbreitete Darstellung des Service Design Prozesses, entworfen vom British Design Council. Er zeigt die zwei wichtigsten Phasen im Design: die Beschäftigung mit der Problemstellung und anschließend die Erarbeitung der Lösung. Beides im Wechsel von divergierendem Vorgehen („out oft he box“) und konvergierendem Vorgehen (Fokussierung durch Experimente), daher die Assoziation mit einem „doppelten Diamanten“.