Scheitern gehört zum Leben dazu. Das wissen wir alle, aber wir mögen ihn nicht, diesen negativen Beigeschmack, den dieses Wort bei uns hinterlässt. Diese Aura von Versagen. Dabei ist es nur eine Frage der Sichtweise. Denn betrachtet man das Scheitern mal von der etymologischen Warte aus, dann stellt man fest, dass es mit Versagen gar nichts zu tun hat. Stattdessen bedeutet es, „in Stücke (also Scheite) zerbrechen“. Beim Scheitern zerbricht also etwas in Stücke und gibt uns so die Chance, es neu zusammenzusetzen. Und genau deswegen ist „Fail early, fail often – scheitere früh und scheitere häufig“ eines der Prinzipien des Design Thinking: „Stelle in Frage, zerlege und setze wieder neu zusammen!“
Die „Komfort-Blase“ verlassen
Wir scheitern im Service Design-Prozess schließlich nicht um des Scheiterns willen. Sondern weil wir besser werden wollen. Weil wir uns dessen bewusst sind, dass unsere erste Lösung eben (noch) nicht die beste ist. Dass es DIE Lösung sowieso nicht gibt, sondern immer nur eine, die noch ein bisschen besser ist. Eine, die z.B. besser zu neuen Bedingungen und Erkenntnissen passt. Das Schwierige daran: Wir müssen Ideen aufgeben, sie gar zerstören. Und zwar nicht irgendwelche Ideen, sondern unsere. Die eigenen oder die unseres Teams. Ideen, von denen wir selbst begeistert sind, die uns aber möglicherweise in der „Komfort-Blase“ feststecken lassen. Die dazu führen, dass wir, wenn wir nicht umdenken, mit einer Lösung in den Markt gehen, von der wir nicht überprüft haben, ob sie auch wirklich zu den Kundenerwartungen und -bedürfnissen passt.
Service Design = nett sein? Mitnichten!
Die Rolle des Service Designers, der den Prozess ermöglicht, moderiert und vorantreibt, ist es, uns das (noch) nicht ausreichend Gute immer wieder vor Augen zu halten. Und dafür zu sorgen, dass andere das auch tun. Der „Facilitator“ schafft also eine wertschätzende und geschützte Umgebung, in der das möglich wird, was nötig ist: ungeschminkt die Wahrheit zu sagen. Sie aussprechen zu dürfen. Denn am Ende treffen wir auf den Kunden. Und er wird sich nicht die Zeit nehmen, uns konstruktiv zu kritisieren. Er wird uns ignorieren. Scheitern bedeutet also, den Mut zu haben, die eigenen Ideen und Vorschläge infrage zu stellen, sie zu überprüfen und sie dann möglicherweise auch aufzugeben. Zuhören, sich annähern, experimentieren und dazulernen statt zu verteidigen und zu rechtfertigen. Scheitern im Service Design-Prozess bedeutet das Wagnis, sich auf eine Herausforderung einzulassen, von der wir zwar nicht wissen, wo sie uns hinführt. Mit der wir aber eingetretene Pfade verlassen werden. Eine Unsicherheit, die nicht einfach auszuhalten ist.
Scheitern ist ein Umweg, keine Sackgasse
Wir zerstören also eine Idee und gehen gleichzeitig wertschätzend mit den Ideen-Entwicklern um. Denn sie haben getan, was sie konnten. Um die beste Lösung gerungen, sich etwas getraut, etwas ausprobiert. Eine Grundlage geschaffen. Scheitern, so wie wir es kennen, passt hier nicht. Scheitern, wie es der amerikanische Motivationstrainer Zig Ziglar sah, schon: „Scheitern ist ein Umweg und keine Sackgasse.“ Es bedeutet also lediglich ein paar (Lern-)Schritte mehr hin zum besseren Lösungsversuch. Da waren doch noch so viele andere Ideen? Von welcher trennen wir uns? Und welcher geben wir eine Chance?
Co-Creation statt „Fehlerkultur“
Ein gemeinsames Arbeiten auf dieser Basis braucht Vertrauen. Denn nur mit Vertrauen kann man offen sein. Kann man sich eingestehen, den falschen Weg eingeschlagen zu haben. Man braucht das Vertrauen darauf, dass alle gemeinsam an ein Ziel glauben und auf dieses hinarbeiten. Und das, obwohl wir diese eine Lösung gerade kritisieren? Nein, nicht obwohl, sondern genau deshalb: weil wir gemeinsam das Ziel erreichen wollen. Es geht hier also nicht um eine „Fehlerkultur“ oder Kritik an einzelnen Personen, sondern um Verbesserungsmöglichkeiten, um ein gemeinsames Vorankommen. Um einen Co-Creation-Ansatz, der das Kritisieren ermöglicht.
„Hinterfrage deine Annahmen!“, „Bezweifle deine Ideen!“ – Aufforderungen, die frei sind von methodischem Überbau, immer und überall einsetzbar. Impulse, die man aktiv umsetzen kann, aus denen man Haltungen ableiten kann. Die Unsicherheiten, die daraus entstehen, aushalten können – das ist die Herausforderung. Umso leichter zu bewältigen, wenn wir Orientierung bekommen. Wenn uns jemand hilft, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Service Design und Design Thinking stecken im Kleinen
Wir müssen nicht immer mit großen Gesten von Design Thinking oder Service Design sprechen, aber wir müssen bereit sein, uns Fragen zu stellen:
Wie gehen wir mit Vorschlägen anderer um? Welche Glaubenssätze haben wir? Und haben wir diese überhaupt jemals überprüft?
Wie wird Kritik formuliert und vor allem, wie wird sie empfunden? Ist sie ein Beitrag auf dem Weg zum Ziel oder wirkt sie zerstörend, weil sie persönlich wird?
Wie viele Annahmen werden hinterfragt? Auf welche Weise? Zufällig oder systematisch, im Prozess verankert?
Wie viele Ideen werden bezweifelt? Und wie konstruktiv? Wie gehen wir mit diesen Zweifeln um?
Wie formulieren wir Projektaufträge und wann? Welche Erkenntnisse haben wir zu diesem Zeitpunkt?
Wie viele Abweichungen sind möglich? Wie oft kommt es vor, dass ein Projekt in eine andere Richtung läuft bzw. laufen darf als ursprünglich geplant?
Jetzt ist es nur noch wichtig, nicht nur auf all diese Fragen zu antworten, sondern sie ehrlich zu beantworten. Dann gelingt es auch, aus den Scheiten des Scheiterns etwas Neues, etwas Erfolgreicheres zu bauen.