Kundenzentrierung wird langsam Allgemeingut und Nutzertests dabei immer üblicher. Wenn es erste Lösungsideen, Mockups oder ähnliches gibt, dann werden Nutzer beobachtet und befragt, was sie von dieser Lösung halten. Zumeist in einem User Experience (UX) Labor oder einem Teststudio.
Leider viel zu oft nur mit einem einzigen Ziel: der Suche nach Bestätigung. Das Projektteam schickt also seine „Erfolgsmeldung“ möglichst schnell herum und ganz oben ist zu lesen, was den Kunden gut gefallen hat.
Es ist menschlich, dass wir auf Bestätigung aus sind. Irritationen und neue Hinweise, die womöglich unsere schöne Idee in Frage stellen, sind für uns kein Erfolg. Doch so verpassen wir das Dazulernen.
Die Kundenzentrierung kommt zu spät
Je länger wir an einer Idee gearbeitet haben, je öfter sie sich schon gegen andere durchgesetzt hat (nach welchen Kriterien eigentlich?) und je leidenschaftlicher wir sie bisher verteidigt haben, desto stärker beschützen wir „unser Baby“. Und setzen es gar nicht gern widrigen Umständen aus. So gesehen sind selbst die oben beschriebenen Nutzertests sinnvoll. Immerhin stellen wir uns überhaupt schon mal dem Urteil der Kunden und Nutzer. Und wir werden trotzdem etwas lernen. Oft sind es Quick Wins, die zumindest zur Akzeptanz des neuen Vorgehens beitragen und damit zu neuen Fähigkeiten – die es dann aber auszubauen und weiterzuentwickeln gilt.
Vom Kunden kommt die Lösung sicher nicht
Es ist ein Irrtum, wenn wir glauben, dass Kunden uns neue Lösungen bringen. Es bringt nichts, sie zu fragen, welche Features und welche Funktionalität sie sich wünschen und was sie denn begeistern würde.
Die Kunden wissen das nicht, sie können es uns schlichtweg nicht beantworten. Sie können uns sehr viel erzählen über die Vergangenheit, über das, was sie erlebt haben, was sie gefreut und was sie geärgert hat und was ihnen gefehlt hat. Doch die Lösungen auf die Bedürfnisse dahinter müssen wir für sie entwickeln, das ist unser Job.
Eine gute Vorbereitung ist daher entscheidend. Nicht weil die Gespräche sonst scheitern würden. Sondern weil wir die geweckten Erwartungen nach neuen Lösungen nicht einlösen könnten. Was schnell dazu führt, der Kundenzentrierung gleich wieder den Garaus zu machen.
Und dann hören wir wieder das Zitat, das Henry Ford nie gesagt, das ihm aber immer zugeschrieben wird: „Wenn wir unsere Kunden gefragt hätten, hätten sie gesagt, sie wünschen sich schnellere Pferde.“
Sollten wir also gar nicht mehr fragen? Ich glaube nicht. Wir müssen nur die richtigen Fragen stellen.
Wir müssen zu Forschern werden
Wir müssen nach den Beweggründen, nach den Wünschen, den Bedürfnissen, den Motiven und den Zielen unserer Kunden fragen. Im Service Design heißt das „Research“. Leider hören wir im Deutschen viel zu selten die aus meiner Sicht am besten passendste Formulierung vom „Forschen“ oder „Erforschen“.
Nur mit der Haltung eines Forschers werden wir die Ansätze für neue Lösungen entdecken. Denn forschen heißt, in unbekanntes Gebiet aufbrechen, alle Sinne offen zu halten, auf alle Phänomene achten, auch wenn bzw. gerade dann, wenn sie uns auf den ersten Blick völlig fremd erscheinen. Und forschen heißt, bei einer Expedition mit allem zu rechnen!
Forscher fragen nicht nach Lösungen, sie versuchen zunächst alles, so genau es eben geht, zu dokumentieren. Idealerweise ohne Verfälschungen (was natürlich nicht möglich ist). Dann wollen sie verstehen: die Hintergründe, die Motive, die bisherigen Versuche und die aktuellen Workarounds.
Auch Prototyping ist Forschung
Auch Prototypen können für uns ein Hilfsmittel für weitere Erkenntnis sein. Forschung am Objekt eben. Je früher wir also den ersten Prototypen haben, desto früher schaffen wir uns die nächste Gelegenheit für neue Erkenntnisse. Und je größer das „Desaster“ mit dem Prototypen, desto mehr haben wir gelernt.
Ein Prototyp allerdings, mit dem wir ziemlich spät in die neue Forschungsphase gehen, wirkt bereits ausgereift. Was zwangsläufig dazu führt, dass die Kunden zurückhaltender mit ihrem Feedback sein werden. Schließlich sieht man ja, wie viel Arbeit bereits investiert wurde und will nicht unhöflich sein. Um das noch zu knacken, braucht es schon sehr gute Fragen.
Die eingangs erwähnten Nutzertests sind also im Service Design Prozess im Grunde ein Bestandteil des Prototypings. Wenn Kundenzentrierung hier erst beginnt, haben wir die erste Hälfte des Service Design Prozesses verschenkt.
Dogmatismus macht alles kaputt
Nun findet Service Design in den seltensten Fällen auf der grünen Wiese statt. Was andererseits einer der großen Vorteil dieser Methodik ist: Ich kann mit einzelnen Elementen an sehr verschiedenen Phasen eines Projekts oder einer Aufgabenstellung einsteigen und bin auch nicht gezwungen, den Prozess von Anfang bis Ende im Gesamten zu durchlaufen.
Wenn nun in einem Unternehmen oder einem Team schon an einer Lösung gearbeitet wurde oder eine Idee sich schon festgesetzt hat und alle überzeugt sind, mit dieser Idee auf dem richtigen Weg zu sein, dann ist es letztlich aussichtslos, hier noch einmal mit dem Research zu beginnen. Quasi zu versuchen, alles auf Anfang zu setzen und alles schon Gedachte zurückzunehmen. Das ist der sichere Weg, die Akzeptanz für Service Design und die damit verbundenen Möglichkeiten und Potenziale zu verspielen.
Dann lieber so früh wie möglich ins Prototyping einsteigen und dort den Forschergeist des Teams wecken, das Mindset des Service Designs einüben und leben. Wenn dies gelingt, ist es nur ein kleiner Schritt zum echten Research und das Team hat genug Vertrauen gewonnen und vor allem Feuer gefangen, um ihn zu gehen.