Design Thinking – oder schlimmer noch ein Design Thinking Workshop – wird in Unternehmen gern mal hergenommen als die Lösung für jede Art von Problem. Selbst bei gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen, ja sogar in der Politik – so liest man in vielen Posts oder Tweets – sollte man doch bitte schön auf das Allheilmittel Design Thinking zurückgreifen. Mit den unterschiedlichen Perspektiven und den heterogenen Teams würde man so ganz sicher zu den dringend notwendigen Lösungen kommen.
Ich will hier gar nicht auf die methodische Umsetzung von Design Thinking blicken, ob jetzt Workshop oder Prozess, ob Tools oder Mindset. Die Frage, die mich bewegt, ist viel grundsätzlicher und gravierender: Ist Design Thinking mit der Zentrierung auf den Nutzer bzw. Kunden wirklich in der Lage, die Welt zu verbessern? Oder ist das nicht eher ein Widerspruch in sich?
Nur für den Nutzer gut – Ego-Centric Design?
Schauen wir auf bekannte Beispiele gelungener Customer Experience. Die meisten von uns haben den Unterschied zwischen einer Fahrt mit dem Taxi und der Fahrt mit Uber schon erlebt. Viele Pain Points der Taxifahrt für uns Kunden wurden von Uber konsequent beseitigt. Aus Kundensicht eine deutlich bessere Lösung mit hoher Akzeptanz. Die Folge für das Gesamtsystem allerdings: Die individuelle Beförderung hat in den Städten signifikant zugenommen. Als Gesamtlösung für städtische Mobilität ganz sicher keine Verbesserung. Von der umstrittenen Entlohnung der Fahrer und anderen kritischen Faktoren mal ganz abgesehen.
Ähnlich bei Airbnb: Die Experience für Mieter und Vermieter ist gut, mit Unterstützung und Vorteilen für die direkt Beteiligten durch hilfreiche Services. Das Ergebnis ist ein äußerst erfolgreiches Geschäftsmodell, also genau das, was User Centered Design doch eigentlich erreichen will. Wie ist aber die Wirkung auf die Städte, was sind die gesellschaftlichen Folgen der dadurch beschleunigten Gentrifizierung? Amazon und vor allem Same Day Delivery reihen sich hier nahtlos ein. Aus Kundensicht eine extrem komfortable Serviceleistung. Die Konsequenzen in puncto Arbeitsbedingungen der Zusteller und Verkehrs- sowie Umweltbelastung sind uns aber allen bewusst.
Eine Stakeholder Map allein reicht nicht mehr
Im Design-Prozess behalten wir durchaus das große Ganze im Blick, schließlich ist die Stakeholder Map eines unserer Lieblings-Tools. Aber auch mit ihr agieren wir nur nutzerzentriert. Unsere Persona steht im Mittelpunkt, wir fokussieren uns auf die Beziehungen und den Austausch von Werten zwischen den Stakeholdern und ihr. Das Zusammenspiel zwischen allen Beteiligten betrachten wir oft nur am Rande und auch dann interessiert uns in der Regel wieder nur der eine Bezug, nämlich der zur Persona. Wie viel besser wäre da eine Ecosystem Canvas, die sich auf das Zusammenspiel und die Interaktion der Stakeholder untereinander ausrichtet – wenn nicht aller, dann doch wenigstens der relevantesten?
Die Komplexität des Ökosystems
Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie schnell die Betrachtung des gesamten Ökosystems und der Versuch der Optimierung dieses Gebildes hochkomplex und entsprechend schwierig zu gestalten sein wird. Zumal sich vieles unserem Einflussbereich komplett entzieht. Doch Design Thinking tritt ja genau mit diesem Anspruch an: komplexe Aufgabenstellungen, sogenannte „wicked problems“, zu bearbeiten, für die es keine richtige oder falsche, sondern nur Annäherungen an eine im Idealfall immer besser werdende Lösung gibt.
Ist der Preis für dieses Vorgehen und die zwangsläufig damit einhergehende Reduzierung der Komplexität möglicherweise gar nicht zu vermeiden? Können wir für unsere Kunden und Nutzer nur dann passende Lösungen und eine gute Experience schaffen, wenn wir bewusst die Konsequenzen für andere ausblenden?
Research als Anfang
Im Research könnten wir uns aber zumindest ein grobes Bild von den Stakeholdern verschaffen, indem wir sie mit einbeziehen. Das hilft dabei, unsere Kunden durch die Interaktionen noch besser zu verstehen und eröffnet zudem neue Lösungsansätze. Der Gestaltungsraum wird größer. Wobei die Gefahr hier in der statischen Betrachtung eines Anfangszustandes liegt. Denn gerade die Auswirkungen unserer Lösung auf das Ökosystem sind es ja, die zu möglichen Verzerrungen und Schiefständen führen (könnten).
Im Plattform Design fokussiere ich mich bei meinen Kunden vor allem auf den Research auf der Produzentenseite. Weil uns die immer noch fern liegt. „Kunde“ ist für die meisten „Endkunde“. Aber selbst dann sind andere Stakeholder oft noch außen vor.
Das entscheidende Problem bleibt
Das entscheidende Problem bleibt allerdings: Schon der Research ist aufwändig, und die Lösungsgestaltung für weitere Beteiligte im Ökosystem erst recht. Wer hat am Ende einen Nutzen und wer ist bereit, dafür zu bezahlen? Der Fokus auf den Kunden bzw. Nutzer und seine Vorteile macht es uns immer einfach. Wenn jemand diesem Kunden ein attraktives Angebot machen kann, ist das Problem gelöst.
Doch wie ist es in einem Ökosystem? Wer kann den Nutzen vieler Beteiligten perspektivisch monetarisieren und zwar unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Relevanz? Möglicherweise müssen wir beginnen, Plattformen noch einmal völlig neu zu denken, jenseits von Uber, Airbnb und Amazon. Und im Design Thinking den ein oder anderen Stakeholder mit in den Fokus nehmen, um die Welt nicht nur für unsere Persona ein Stückchen besser zu machen.