Das „Schlanke“ im Lean Startup ist das möglichst frühe Überprüfen unserer Business-Ideen durch Hypothesen und Experimente und vor allem durch ein Minimum Viable Product (MVP). Aber obwohl „schlank“ doch gemeinhin als erstrebenswert gilt, wird es in diesem Zusammenhang nicht allzu oft umgesetzt.
Dabei klingt es so einleuchtend! Stattdessen stecken wir viel zu viel Zeit in Vorüberlegungen, Planungen und Businesspläne. Laut Eric Ries, der die Lean Startup-Methode entwickelt hat, ist dies der Fehler #1 in einer von Unsicherheit und Komplexität geprägten Welt.
Aber warum ist das so? Und noch viel wichtiger: Wie lässt sich das ändern?
Das Schwierige am Lean Startup ist nicht die Methode
Im Lean Startup-Modul des ThePowerMBA kommt Eric Ries selbst zu Wort und benennt sechs Fehler, die sich durch Lean Startup vermeiden lassen:
- Wasting too much time in thinking, planning, business plan
- Falling in love with the own idea
- Start with the execution before validation
- Getting advice from “experts”
- Delaying launch date
- Keep it secret
Denn immer, wenn wir uns in unsicheren Gefilden bewegen, dann können wir Sicherheit nur durch Ausprobieren und Überprüfen gewinnen. Damit landen wir bei Experimenten, bei Prototypen und bei der Gefahr eines unerwünschten Kundenfeedbacks. Rational betrachtet würden wir mit Lean Startup also alles tun, um Risiken zu reduzieren.
Aber emotional vermeiden wir genau diese Schritte, weil wir die Enttäuschung und das Scheitern unserer konkreten Ideen dann doch fürchten und deswegen möglichst lange hinauszögern wollen. „Weil wir zurückgehalten werden von einer ganzen Reihe von Barrieren aus Ängsten und Befürchtungen …“ , heißt es im ThePowerMBA.
Das Kernproblem allen agilen, iterativen und kundenzentrierten Vorgehens ist also nicht die Methode. Sondern der Umgang mit unseren Ängsten und Befürchtungen.
Im Ausgangspunkt der Lean Canvas liegt der Schlüssel
Um die Lean Startup-Prinzipien methodisch zu stärken und zu unterstützen, hat Ash Maurya die Lean Canvas entwickelt – ein Schema, mit dem sich ein Geschäftsmodell nach Lean-Prinzipien entwickeln lässt, indem man sich Schritt für Schritt zunächst einer passenden Lösung, dann einem passenden Produkt und zuletzt dem geeigneten Wachstumspfad annähert.
Diese Lean Canvas hat ganz außen – und das ist kein Zufall – zwei Bereiche, zwischen denen sich alles abspielt und die die unveränderlichen Bestandteile sind. Alles andere ist flexibel und austauschbar. Fest stehen eine Kundengruppe und ein Problem. Und manchmal bereits existierende Lösungen, mit denen die Kundengruppe aber eben ihr Problem noch nicht zufriedenstellend lösen kann. Und damit ganz klar eine Chance für Innovationen.
Diese Innovationen spielen sich bei der Lean Canvas innerhalb des gesteckten Rahmens ab: Das Finden einer Lösung und eines Wertversprechens, einer „Value Proposition“, aus dem sich im besten Fall ein völlig neues Geschäftsmodell entwickeln lässt.
Nur, wenn wir Kundengruppe und Problem nicht mehr im Blick haben und uns fast blind in unsere Idee, unsere Lösung verlieben, dann bekommen wir Verlustangst. Vermeiden all die Situationen, in denen wir sie verlieren könnten oder in denen sie uns jemand wegnehmen könnte. Und machen dann zwangsläufig genau die oben von Eric Ries genannten Fehler.
Produktentwickler oder Entrepreneur?
Je kleiner wir denken, desto ängstlicher werden wir. Dann wird das mögliche Scheitern unserer Produktidee zur großen Hürde, obwohl sie gar nicht da ist, wenn wir das eigentliche Ziel vor Augen behalten. Ich selbst entwickle gerade gemeinsam mit meiner Geschäftspartnerin ein neues kollaboratives Workshop-Format und kenne das Problem aus eigener Erfahrung. Unsere ersten Ideen haben nicht funktioniert. Das war frustrierend, aber das große Ziel blieb dennoch intakt: die Kundengruppe und ihr Problem, das sich uns sogar bestätigt hat. Nur die Lösung hat eben noch nicht gepasst.
Die entscheidende Frage ist: Was haben wir auf diesem Weg erreicht? Wir haben Risiken und Kosten reduziert, indem es uns gelungen ist, die falsche Richtung frühzeitig zu erkennen. So etwas erreicht man aber nicht im stillen Kämmerlein, sondern indem wir uns unserer Zielgruppe „stellen“. Ein Launch unserer Produktidee, sobald wir reale Interaktionen mit unseren Kunden initiieren und daraus lernen können. Das ist meistens viel früher möglich, als wir denken. Denn der Großteil der Barrieren existiert nur in unserem Kopf. Wo wir unternehmerisch handeln können, wie in unserem Fall oder wie bei jedem Startup auch, ist das noch relativ einfach. Wie aber sieht das in etablierten Unternehmen aus – egal welcher Größe?
Mitarbeiter und das „Why“
Wenn wir der intrinsischen unternehmerischen Motivation nun die Mitarbeiter gegenüberstellen, dann liegt der Brückenschlag zu Simon Sineks „Start with Why“ sehr nahe. Wir heben im Unternehmen den Blick vom kleinteiligen Produkt oder der einzelnen Idee und Lösung auf das große Ganze doch nur dann, wenn der Antrieb des Unternehmens jedem klar ist. Wenn klar ist, dass das Erreichen eines großen Ziels im Mittelpunkt steht und dass ein „Scheitern“ von einzelnen Ansätzen dieses Ziel keinesfalls in Frage stellt, sondern lediglich ein Dazulernen auf unserem Weg darstellt. Das „Why“ setzt den passenden Rahmen, in dem agiles Vorgehen, Lean Startup, Experimentieren und MVPs überhaupt erst möglich werden. Indem es die Orientierung gibt, die sicherstellt, dass wir uns nicht in den Iterationen verlieren.
Führung vor Kultur
Wir landen hier schnell bei Kulturveränderung und dem angeblich notwendigen Mindset. Weiche Themen, die „irgendwie“ verändert werden müssen, damit ein Handeln nach Lean-Startup-Prinzipien gelingen kann. Doch das ist mir persönlich viel zu einfach! Denn es braucht den Rahmen, es braucht die Prozesse, es braucht die Steuerung und es braucht die klare Orientierung an einem gemeinsamen “Why“.
All das kommt nicht aus dem Nichts. All das muss von der Unternehmensführung benannt, definiert und gelebt werden. Denn nur so entsteht die oft zitierte „Startup-Kultur“. Oder es bleibt beim bisherigen Vorgehen aus einer überschaubaren sicheren Welt. Also weiterhin Ausführung des Plans oder doch lieber Validierung von Lösungen? Expertenempfehlungen oder Überprüfung von Hypothesen? Verliebt in geheime Ideen oder Veröffentlichen von Unfertigem? Diese Dinge lassen sich klar entscheiden. Punkt.