Plattform-Design: Strategiewerkzeuge statt Voodoo

Foto: Fares Nimri auf Unsplash

Ein Mythos umgibt die Plattform-Geschäftsmodelle. Sie sollen Heilsbringer für Branchen wie das Bankgewerbe sein, die ihr ehemals lukratives Geschäftsmodell verloren haben. Turbo für noch erfolglose Startups, die auf die Hockeystick-Kurve für ihre Kennzahlen warten. Und sie sind ein Eldorado für Berater, die Begriffe wie Ökosystem, Plattform und Marktplatz wild durcheinanderwerfen und nach einer Reihe angeblicher Plattformprojekte noch nicht einmal Kennzahlen dazu liefern können.

Doch statt uns auf die Plattform selbst zu stürzen, sollten wir uns vielleicht doch besser auf den zweiten Teil des Wortes konzentrieren: Geschäftsmodelle.

 

Geschäftsmodelle haben nämlich Prinzipien, Mechanismen, Gesetzmäßigkeiten und vor allem: Erfolgsfaktoren. Zugegeben, diese sind hier anders als wir es von bisherigen linearen Geschäftsmodellen kennen. Noch dazu kombiniert mit unsicheren und komplexen Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Geschäftsmodellen generell erschweren und ein iteratives „Design-Vorgehen“ erforderlich machen. Seit Lean-Startup aber auch keine neue Erkenntnis mehr.

Höchste Zeit also, Plattformen zu entmystifizieren und aufzuzeigen, dass klassisches Strategie-Handwerkszeug wie eine Ansoff-Matrix weiterhin funktioniert.

80 Prozent aller Plattformen scheitern

Diese wohlbekannte Statistik zu Plattformen als den erfolgreichsten Geschäftsmodellen der letzten zehn Jahre verstellt den Blick auf die nüchterne Realität: Denn tatsächlich scheitern 80 Prozent der Plattform-Vorhaben!

The Future of Platforms

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine aktuelle Studie des MIT sowie der Harvard Business School zeigt dies anhand von über 250 Fallbeispielen zu US-Plattformen in den letzten 20 Jahren.

Die durchschnittliche (Über-)Lebensdauer dieser Plattformen betrug gerade mal rund fünf Jahre. Wenn Plattformen allerdings erfolgreich sind, dann gleich richtig. Denn die systemimmanenten Mechanismen einer Plattform tendieren zu sehr schneller Skalierung und in der Folge zu Monopolismus („The winner takes it all.“). Genau dieselben Mechanismen sind es aber auch, die den Start einer Plattform so schwierig machen – viel schwieriger als den Start eines Unternehmens mit klassischem Geschäftsmodell. Es braucht nicht nur eine ganz besonders wohldurchdachte Markteintrittsstrategie, es braucht auch die Fähigkeit, die Anfangsinvestitionen zu stemmen und zwar so lange, bis eben diese Wachstumsmechanismen zu greifen beginnen.

Ansoff-Matrix als Strategiewerkzeug

Wenn eine Wachstumsstrategie für eine Plattform also noch wichtiger ist als bei anderen Geschäftsmodellen, dann lohnt es sich, auf erprobte Strategiewerkzeuge wie die Ansoff-Produkt-Markt-Matrix zu schauen – schließlich gibt es Märkte und Produkte ja weiterhin. Doch wie wendet man die Methode bei Plattform-Geschäftsmodellen an?

Auf Basis ihrer langjährigen Erfahrung bei Johnson & Johnson stellt Jami Taylor im ThePowerMBA die strategischen Prinzipien der Ansoff-Matrix vor:

ThePowerMBA: Modul „Business and Marketing Strategies“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wachstum ist nach Ansoff in zwei Dimensionen möglich: im Bereich der Produkte und im Bereich der Märkte. Ausgangspunkt ist im Grunde immer die Kombination von bekanntem Produkt und bekanntem Markt, die sogenannte Marktpenetration. Offensichtlich der Schritt mit dem geringsten Risiko, da dort auch die Unsicherheit am geringsten ist.

Von hier aus lässt sich in Richtung einer der beiden Achsen wachsen, entweder mit bekanntem Produkt in neue Märkte oder mit neuem Produkt in bekanntem Markt. In beiden Fällen steigt das Risiko mit der Unsicherheit an.

Die Kombination aus beidem, die Diversifikation, bringt die höchste Unsicherheit und damit das höchste Risiko und steht deshalb – aber nicht zwangsläufig – zumeist am Ende der Wachstumsstrategien.

Ansoff für Plattformen

Wie lässt sich jetzt die Ansoff-Matrix auf Plattform-Geschäftsmodelle und die passenden Wachstumsstrategien bzw. -aktivitäten übertragen?

  • „Market Penetration“ bedeutet für Plattformen vor allem den Nachweis, dass sich die Grundidee der Plattform im Markt bestätigt. Dass also die Kerntransaktion zu einem Pull-Effekt führt und neue Akteure auf die Plattform zieht. Das Henne-Ei-Dilemma muss gelöst sein und die Netzwerk-Effekte müssen anspringen. Fast immer liegt hier der Schlüssel auf der Seite der Supplier. Kommt diese Seite in Gang, beginnt auch die Plattform zu funktionieren.
    Eine entscheidende Gefahr liegt zu Beginn darin, den ersten Markt zu groß zu definieren (also z. B. „Airbnb für Autos“/sofortiger bundesweiter Service für E-Autos). Aber auch darin, zu viele Transaktionen durch die Plattform abzubilden. Statt sich auf die eine zu konzentrieren, die die größte Wahrscheinlichkeit für ein Eintreten der Netzwerkeffekte verspricht.
    Ansoff unterstützt genau diesen Fokus, den Plattformen unbedingt brauchen, indem er uns zwingt, den existierenden Markt und das existierende Produkt genau zu definieren – in diesem Fall sogar eher enger als weiter.

 

  • „Market Development“ bedeutet das Ausweiten der Plattform auf weitere Märkte, meist regional (wie bei Airbnb) oder z. B. auf andere Branchen und Services (wie bei Fiverr). Im Plattform-Design hilft uns hier das Konstrukt des „Repeatable Model“. Das sind diejenige Ausbaustufe und derjenige Reifegrad der Plattform, die bereits das Funktionieren der grundsätzlichen Plattformidee nachgewiesen haben und die deshalb eine Vervielfältigung möglich machen.
    Ansoff beschreibt an dieser Stelle also genau das, was z. B. eine „Falling-Pin-Strategie“ für Plattformen umsetzt: das schrittweise Besetzen von abgegrenzten Märkten – so wie bei Airbnb nach San Francisco eine Stadt nach der anderen oder bei Facebook eine Universität nach der anderen und zwar so lange, bis diese Marktsegmente zusammenwachsen.

 

  • „Product Development“ bedeutet für Plattformen das Erweitern der Plattform um weitere Transaktionen – über die Kerntransaktion der ersten Ausbaustufe hinaus. Diese Erweiterung kann in unterschiedliche Richtungen erfolgen: Entweder kommen weitere Akteure aus dem Ökosystem auf die Plattform (nach Freelancern dann Großunternehmen bei wework), bereits integrierte Akteure können sich durch die Plattform weiterentwickeln (die Superhosts bei Airbnb) oder Akteuren wird ein Rollenwechsel ermöglicht, zumeist vom Consumer zum Producer (Käufer werden bei etsy zu Händlern).
    Statt der üblichen Entwicklung neuer Produkte geht es in diesem Ansoff-Quadranten also um neue Angebote der Plattform an das Ökosystem. Und wie bei klassischen Geschäftsmodellen auch finden wir diesen Schritt des „Product Development“ häufig in Kombination oder parallel zum „Market Development“.

 

  • „Diversification“ bedeutet bei Plattform-Geschäftsmodellen tatsächlich das Hineinwachsen der Plattform in angrenzende Ökosysteme. Dies gelingt vor allem dann, wenn sich die Mechanismen der Plattform leicht übertragen lassen (z. B. „Airbnb-Experiences“, die dieselben Akteure nutzen oder ganz aktuell: Ticket-Plattformen, die sich in der Lage sehen, Covid-19-Impftermine zu vergeben).
    Und auch hier ist genau dieser Wachstumspfad wieder derjenige, der zum einen zuletzt begangen wird und zum anderen das höchste Risiko trägt. Möglicherweise jetzt aber mit dem Vorteil, dass uns die Mechanismen der Plattformen und das Denken in Ökosystemen diesen Pfad leichter eröffnen.

 

#KeinVodoo

Wir sehen also: Bisher erprobtes Strategie-Handwerkszeug wie die Ansoff-Matrix funktioniert auch für Plattform-Geschäftsmodelle. Was nicht überraschend ist, denn schließlich geht es bei Plattformen zwar um völlig andere, aber doch immer noch um Geschäftsmodelle.

Viel überraschender ist vielmehr, dass bei der Konzeption von Plattformen immer noch so viel Intuition und Mythos und immer noch so wenig Systematik und Handwerkszeug eingesetzt werden. Was dann die 80 Prozent-Quote des Scheiterns wieder deutlich weniger überraschend macht.